Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 GWB, 29. Mai 2018
- Aus rechtlicher Sicht ist der Schutz des Kulturguts Buch zwar ein grundsätzlich anzuerkennendes kulturpolitisches Ziel. Das Schutzgut ist aber vom Gesetzgeber nicht klar definiert.
- Die Buchpreisbindung stellt einen schwerwiegenden Markteingriff dar, deren Auswirkungen ambivalent bzw. unklar sind. Außerdem trägt sie der Marktentwicklung nicht in angemessener Weise Rechnung. Daher empfiehlt die Monopolkommission die Abschaffung der Buchpreisbindung.
- Vor der Erwägung weiterer Maßnahmen zum Schutz des Kulturgut Buch muss erstens das Schutzziel definiert und zweitens geprüft werden, ob und inwiefern Schutzdefizite bestehen. Erst auf dieser Basis kann drittens entschieden werden, mit welchen Instrumenten die Schutzdefizite behoben werden können.
Die Monopolkommission hat der Bundesregierung und den gesetzgebenden Körperschaften ihr Sondergutachten Nr. 80 mit dem Titel „Die Buchpreisbindung in einem sich ändernden Marktumfeld“ vorgelegt. Dieses aus eigenem Ermessen erstellte Sondergutachten hat ein im Jahr 2016 ergangenes Urteil zum Anlass, in dem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Unvereinbarkeit der deutschen Arzneimittelpreisbindung mit der europäischen Warenverkehrsfreiheit festgestellt hat.
Aus rechtlicher Sicht ist der Schutz des Kulturguts Buch zwar ein grundsätzlich anzuerkennendes kulturpolitisches Ziel. Dieses kulturpolitische Interesse ist jedoch gegen das Interesse am unverfälschten Wettbewerb abzuwägen. Der Schutz des Wettbewerbs erfolgt innerhalb des Binnenmarktes durch das EU-Recht. Die nationalen Vorschriften über die Buchpreisbindung greifen erheblich in die Grundfreiheiten grenzüberschreitend tätiger Marktteilnehmer ein und stellen zudem einen schwerwiegenden Markteingriff dar. Nach Maßgabe des EU-Rechts wären somit objektive Belege dafür erforderlich, dass die Buchpreisbindung einen kulturpolitischen Mehrwert generiert, der den mit ihr verbundenen Markteingriff rechtfertigt. Anhand der verfügbaren Informationen ist fraglich, ob sich solche Belege beibringen lassen. Zumindest soweit der grenzüberschreitende Buchhandel betroffen ist, ist nicht auszuschließen und, im Hinblick auf E-Books, sogar wahrscheinlich, dass der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren die Buchpreisbindung für mit der europäischen Warenverkehrsfreiheit unvereinbar erklären wird. Im Falle einer solchen Entscheidung könnten grenzüberschreitend tätige Unternehmen sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem – weiter preisgebundenen – inländischen stationären Buchhandel verschaffen, indem sie gedruckte Bücher oder E-Books mit Preisnachlässen an deutsche Letztabnehmer versenden. Die Rechtsprechung des EuGH zur Arzneimittelpreisbindung hat gezeigt, dass eine solche Möglichkeit wahrscheinlich über kurz oder lang genutzt würde.
Aus ökonomischer Sicht lässt sich die Buchpreisbindung nicht abschließend beurteilen. Die Unterbindung des Preiswettbewerbs auf der Endhandelsstufe hat ambivalente und zum Teil unklare Auswirkungen. Die Buchpreisbindung stärkt den Nebenleistungswettbewerb, verlangsamt den Strukturwandel im stationären Buchhandel und bremst die Entstehung nachfragemächtiger Buchhändler. Gleichzeitig behindert sie die Ausbreitung effizienter Handelsstrukturen und die Verbreitung von Büchern durch eine Erschließung neuer Kundengruppen. Sie verhindert, dass Kostenvorteile in Form niedrigerer Endkundenpreise weitergereicht werden können und stellt eine Markteintrittsbarriere dar. Unklar bleibt der Zusammenhang zwischen Buchpreisbindung, Preisniveau, Titelvielfalt und Ertragslage der Verlage.
Auch wenn die Buchpreisbindung den Struktur- und Funktionswandel auf allen Vertriebsstufen bremst, kann sie ihn doch nicht unterbinden. Dies zeigt sich insbesondere im stationären Buchhandel, der auch bei Geltung der Buchpreisbindung kontinuierlich an Marktanteilen, vor allem zugunsten des Onlinebuchhandels, einbüßt. Damit einhergehend stellt sich zunehmend die Frage, ob die herkömmliche Infrastruktur für den Buchvertrieb noch die ihr zugesprochene Rolle spielt. Aufgrund der Digitalisierung und der wachsenden Internetaffinität der Konsumenten nimmt die Bedeutung des traditionellen Buchhandels und der von ihm erbrachten buchhändlerischen Leistungen tendenziell ab.
Aus der Sicht der Monopolkommission – nach Abwägung aller Gesichtspunkte – handelt es sich bei der Buchpreisbindung um einen schwerwiegenden Markteingriff, dem ein nicht klar definiertes kulturelles Schutzziel „Kulturgut Buch“ gegenübersteht, dessen Auswirkungen ambivalent bzw. unklar sind und der der Marktentwicklung nicht in angemessener Weise Rechnung trägt. „Aus diesen Gründen“, so der Vorsitzende Prof. Achim Wambach, „spricht sich die Monopolkommission für eine Abschaffung der Buchpreisbindung aus. Vor jeder Erwägung weiterer Maßnahmen etwa zum Schutz des Kulturguts Buch muss erstens das Schutzziel definiert werden. Zweitens muss geprüft werden, ob und inwiefern Schutzdefizite bestehen. Erst auf dieser Basis kann drittens entschieden werden, mit welchen Instrumenten die Schutzdefizite behoben werden können.“
Hier finden Sie:
die Pressemitteilung in deutscher, englischer und französischer Sprache
das Sondergutachten im Volltext in deutscher und englischer Sprache
die Kurzfassung in deutscher und englischer Sprache