XXII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 3. Juli 2018


Die Monopolkommission untersucht in dem vorliegenden Kapitel die Markt- und Wettbewerbsentwicklung im Bereich audiovisueller Medien. Die Schwerpunkte der Analyse liegen auf den Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie dem bestehenden regulatorischen Rahmen für audiovisuelle Mediendienste.

Der deutsche Staat und die Rundfunkanstalten müssen bei Online-Angeboten verfassungs- und unionsrechtliche Grenzen beachten. Die Rundfunkanstalten erfüllen zwar einen Grundversorgungsauftrag, der eine Bestands- und Entwicklungsgarantie umfasst. Allerdings sind die Rundfunk¬anstalten nicht nur verfassungsrechtlich berechtigt, sondern grundsätzlich auch unionsrechtlich verpflichtet, den Grundversorgungsauftrag so zu konkretisieren, dass private Wettbewerber ihre Tätigkeiten planen können und dass eine Kontrolle möglich ist. Den Staat trifft diesbezüglich eine Gewährleistungsverantwortung.

Nach dem Beihilfekompromiss zwischen der EU und Deutschland (2007) handelt es sich bei der Finanzierung der Rundfunkanstalten um bestehende Beihilfen, die laufend auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Binnenmarkt zu überprüfen sind. Die Parameter für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Online-Angebots lassen Bewertungsspielräume bestehen. Dadurch wird eine Finanzierung von Aktivitäten, mit denen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Wettbewerber durch Ausübung von Marktmacht verdrängen können, nicht ausgeschlossen. Der Drei-Stufen-Test, durch den die Einhaltung des Beihilfekompromisses auf nationaler Ebene sichergestellt wird, weist Mängel auf, die seine praktische Wirksamkeit nicht unerheblich beeinträchtigen.

Abgesehen von den beihilferechtlichen Anforderungen sind bei der Ausweitung öffentlich-rechtlicher Online-Angebote weitere Grenzen zum Wettbewerbsschutz zu beachten. Die Rundfunkanstalten dürfen namentlich andere Medienunternehmen nicht unter missbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht aus dem wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb verdrängen. Eine solche Verdrängung ist möglich, soweit die Rundfunkanstalten ihr Angebot nicht auf gesellschaftlich-kulturell relevante Inhalte beschränken, die einen Mehrwert gegenüber den privat angebotenen Inhalten aufweisen (sog. „Public-Value“-Inhalte). Solche Aktivitäten könnten private Medienunternehmen mit eigenen Online-Angeboten wirtschaftlich behindern und gegebenenfalls auch die Rundfunk- bzw. Pressefreiheit solcher Medienunternehmen verletzen. Auch die sich jüngst abzeichnenden Anpassungen des Rundfunkstaatsvertrags beachten das nicht hinreichend.

Die Medienkonvergenz und die Markteintritte neuer Anbieter audiovisueller Medien, vor allem im Online-Me-dienbereich, haben zu einer Steigerung der Wettbewerbsintensität geführt. Hiermit geht tendenziell eine Erhöhung der Meinungsvielfalt einher, deren Sicherstellung ein wichtiges Ziel der Medienregulierung ist. Die Regulierung hat mit der Marktentwicklung sowie dem veränderten Nutzungsverhalten der Konsumenten jedoch nicht Schritt gehalten. Sie sollte daraufhin überprüft werden, ob sie den damit verfolgten Zielen (insb. dem Schutz der Meinungs- und Willensbildung) noch zugutekommt, ohne die Wettbewerbsbedingungen unverhältnismäßig zu verzerren. Insgesamt ergeben sich Spielräume zur Modifikation und Reduzierung der Medienregulierung.

Auf nationaler Ebene ist vor allem die Ausgestaltung der Medienkonzentrationskontrolle zu überprüfen. In der rundfunkrechtlichen Plattformregulierung erscheinen die diskutierten Regelungen zur privilegierten Auffindbarkeit und die bestehenden Belegungsvorgaben bzw. Must-Carry-Regelungen für infrastrukturgebundene Plattformen (z. B. Kabelnetzbetreiber) verzichtbar. Nicht erforderlich ist derzeit auch eine medienrechtliche Regulierung von Intermediären (z. B. Suchmaschinen, soziale Netzwerke) zur Sicherung der Meinungsvielfalt.

Auf europäischer Ebene wird die Novellierung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) zu einer Annäherung der Wettbewerbsbedingungen für lineare und nicht-lineare Mediendiensten führen. Mit Blick auf die Vorgaben zur Werberegulierung wäre es indes vorzugswürdig, die quantitativen Werbebeschränkungen für Fernsehveranstalter abzuschaffen. Die Mindestquote für europäische Werke für VoD-Dienste ist zumindest in ihrer derzeitigen Ausgestaltung fragwürdig. Die Ausweitung des Ursprungslandsprinzips und der kollektiven Rechtewahrnehmung in der geplanten SatCab-Verordnung ist bisher nicht wett¬bewerbsneutral ausgestaltet. In den geplanten Datenschutzregelungen (v. a. ePrivacy-Verordnung) ist ein fairer Ausgleich zwischen den personenbezogenen Interessen der Nutzer und den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen anzustreben.


Download des Einzelkapitels aus dem XXII. Hauptgutachten