Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 05. Juli 2022


Monopolkommission: Die ökologisch-digitale Transformation gelingt nur mit einer starken Wettbewerbsordnung

Die Monopolkommission macht in ihrem Hauptgutachten „Wettbewerb 2022“ Empfehlungen, wie eine Anpassung der Wettbewerbsordnung zur ökologisch-digitalen Transformation beitragen kann. Sie hat ihr Gutachten heute dem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, übergeben.

Übergabe des 24. Hauptgutachtens© BMWK / Andreas Mertens

Der Vorsitzende der Monopolkommission Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL.M.: „Die Wettbewerbsordnung in Deutschland ist ein wichtiger Pfeiler für die Bewältigung der anstehenden Transformationsprozesse. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass Marktmacht, die sich im Zuge der Digitalisierung und der Konzentrationszunahme in einzelnen Sektoren ergibt, begrenzt wird. Auch die jüngsten Überlegungen des Wirtschaftsministeriums zu einer Verschärfung des Kartellrechts bewertet die Monopolkommission grundsätzlich positiv. Die Möglichkeit einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung hat sie schon 2010 untersucht und Empfehlungen für die Voraussetzungen eines solchen Instruments vorgelegt, aber auch seine Grenzen aufgezeigt.“

Im Einzelnen schlägt die Monopolkommission vor:

  • Nachhaltigkeitsziele, die mit Kooperationen und Unternehmenszusammenschlüssen verfolgt werden, bei der kartellrechtlichen Prüfung zu berücksichtigen, sofern damit Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbunden sind,
  • die im europäischen Digital Markets Act vorgesehene Regulierung der sogenannten Gatekeeper auf digitalen Märkten, um nationale Vorschriften zur Erleichterung von Unterlassungs- und Schadensersatzklagen zu ergänzen,
  • auf die zunehmende Unternehmenskonzentration in den regulierten Sektoren und die steigenden Markups bei Großunternehmen mit einer Stärkung der Wettbewerbskräfte in den betroffenen Sektoren zu reagieren.

In vielen Fällen gibt es keinen Zielkonflikt zwischen Wettbewerbsschutz und Nachhaltigkeit. Der Wettbewerb ist vielmehr gerade der Garant dafür, dass Unternehmen innovative und zugleich klima- und umweltschützende Technologien hervorbringen. In Fällen, bei denen Klimaschutz und andere Nachhaltigkeitsziele von den Unternehmen einer Branche nicht alleine umgesetzt werden können, müssen sich Vereinbarungen zu einer abgestimmten Umsetzung höherer Nachhaltigkeitsstandards jedoch am Kartellrecht messen lassen. Das Kartellrecht bietet im Rahmen des sog. Effizienzeinwands die Möglichkeit einer Abwägung von Wettbewerbsschutz und Nachhaltigkeitszielen, insbesondere wenn Verbraucherinnen und Verbraucher von Klimaschutzmaßnahmen unmittelbar profitieren. Eine generelle Ausnahme von Nachhaltigkeitsinitiativen vom Kartellrecht ist hingegen nicht zu empfehlen.

Der auf EU-Ebene beschlossene Digital Markets Act (DMA), der Ende 2022 in Kraft treten soll, enthält eine Vielzahl von Verhaltenspflichten für große Digitalunternehmen, damit diese ihre wirtschaftliche Macht nicht zulasten der Nutzerinnen und Nutzer ausbeuten. Bei Verstößen gegen die im DMA verankerten Verhaltenspflichten kann die Europäische Kommission Sanktionen ergreifen. Prof. Jürgen Kühling, Vorsitzender der Monopolkommission: „Um die Durchsetzung des DMA noch effektiver zu machen, empfiehlt die Monopolkommission dem deutschen Gesetzgeber, ergänzende Regelungen für private Unterlassungs- und Schadenersatzklagen einzuführen. Beispielsweise sollte die Schadensfeststellung für Nutzerinnen und Nutzer dadurch erleichtert werden, dass eine Schadensvermutung sowie Regelungen für eine Schadensschätzung und für die Verzinsung von Schadensersatzansprüchen durch Gesetz vorgesehen werden.“ Daneben sollte der Gesetzgeber eine Haftung des verantwortlichen Managements prüfen.

„Die digitale Transformation wird im verarbeitenden Gewerbe von zunehmender Marktmacht begleitet, während diese im Dienstleistungsbereich sogar abnimmt“, so der Vorsitzende der Monopolkommission, Prof. Jürgen Kühling. Ein Indikator für die Entwicklung von Marktmacht ist die Schere zwischen ökonomischen Produktionskosten und Marktpreisen. Die sogenannten Preisaufschläge sind in Deutschland im verarbeitenden Gewerbe zwischen 2008 und 2017 lediglich um 1,8% angestiegen, im Dienstleistungsbereich dagegen in demselben Zeitraum um 6 Prozent gesunken. Sektorunabhängig wiesen vor allem große Unternehmen und Unternehmen in hoch konzentrierten Branchen, z. B. im Bereich Kokerei und Mineralölverarbeitung, bereits vor der aktuellen Krise deutlich steigende Preisaufschläge auf. Hohe Preisaufschläge gehen in Deutschland vor allem in Dienstleistungsbranchen allerdings auch mit hohen Digitalisierungsinvestitionen und Produktivitätssteigerungen einher. Im verarbeitenden Gewerbe ist zwar ein Zusammenhang zwischen Digitalisierungsinvestitionen und Preisaufschlägen zu beobachten, nicht hingegen mit begleitenden Produktivitätssteigerungen.

Der Anteil der 100 größten deutschen Unternehmen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ist weiter auf zuletzt 14,0% im Jahr 2020 gesunken. Auch die personellen und kapitalmäßigen Verflechtungen deutscher Großunternehmen haben nicht zugenommen. Dafür befindet sich die indirekte Verflechtung von Wettbewerbern über Anteile institutioneller Investoren, z. B. BlackRock oder Vanguard, in Europa weiterhin auf hohem Niveau. Insgesamt sind nahezu 80% der Wirtschaftsbereiche in Europa von indirekten Horizontalverflechtungen betroffen. Ein deutlicher Konzentrationsanstieg ist in den ohnehin hoch konzentrierten regulierten Wirtschaftszweigen des Dienstleistungssektors zu beobachten, zu denen auch die Bereiche drahtlose Telekommunikation, Post und Schienenpersonenfernverkehr zählen.1 In Anbetracht zunehmender Konzentrationspotenziale durch die digitale Transformation und einer möglicherweise anstehenden schwachen Konjunkturphase, sollte die Entwicklung in Deutschland weiterhin genau beobachtet werden.


  1. Folgende Änderung gegenüber einer Veröffentlichung am 5.7.2022 ist zu beachten: Als ein Beispiel hoch konzentrierter regulierter Bereiche, deren Konzentration zuletzt weiter angestiegen ist, wird nunmehr der Schienenpersonenfernverkehr anstelle des Schienengüterverkehrs genannt, da die Konzentration im Schienengüterverkehr nicht über den gesamten Beobachtungszeitraum angestiegen und seit 2011 sogar gesunken ist.



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