XXIII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 29. Juli 2020




Die Corona-Krise wird die deutsche Wirtschaft nachhaltig verändern. Um eine dauerhafte Schädigung von Marktstrukturen zu vermeiden und die Folgen der Krise für die Arbeitsmärkte zu mildern, greifen Bund, Bundesländer und Kommunen durch finanzielle Hilfen, Bürgschaften und Beteiligungen an Unternehmen massiv in die Wirtschaft ein. In der Lock-down- und in der Reaktivierungsphase haben die Unternehmen zudem einen teils verstärkten Kooperations- und Koordinierungsbedarf formuliert. All das wird Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Zu erwarten ist, dass es insgesamt und in einzelnen Wirtschaftsbereichen zu einem Konzentrationsanstieg mit der Folge einer abnehmenden Wettbewerbsintensität kommen wird. Die Marktmacht der großen Digitalunternehmen wird zunehmen und der direkte staatliche Einfluss auf die Unternehmen wächst. Dies löst Handlungsdruck in Deutschland und in der Europäischen Union im Hinblick auf die Sicherung wettbewerblicher Strukturen aus.

Im Hinblick auf Kooperationsinitiativen zur Vermeidung von Versorgungsengpässen hat das Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden zeitnah Orientierungshilfen gegeben. Daneben wurde die Rechtssicherheit durch zügige Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden erhöht. Wichtig war in diesem Zusammenhang aber auch die Feststellung, dass Kooperationen nicht über das zur Sicherstellung der Versorgung notwendige Maß hinausgehen dürfen. Absprachen über Preise, Konditionen sowie die Aufteilung von Kunden oder Absatzgebieten müssen auch in Krisenzeiten untersagt bleiben. Ebenso sind die Verbraucher vor missbräuchlich überhöhten Preisen bei medizinischen Produkten oder sonstigen in der Krise wesentlichen, aber knappen Gütern zu schützen.

Es ist davon auszugehen, dass der durch die Corona-Krise verursachte Digitalisierungsschub zu einem weiteren Anwachsen der Marktmacht der großen Digitalunternehmen führen wird. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Monopolkommission der Bundesregierung, die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union zu nutzen, um eine Plattformverordnung für marktbeherrschende Online-Plattformen einzuführen.

In der Corona-Krise sollten auch die Fusionskontrollregeln nicht großzügiger als bisher gehandhabt werden. Das geltende Recht versetzt die Wettbewerbsbehörden in die Lage, auch in Krisenzeiten – etwa mit dem Instrument der Sanierungsfusion – angemessen zu reagieren. Die für die Monate März bis Mai 2020 geltende Verlängerung der Prüfungsfristen für die Fusionskontrolle sollte bis zum Ende des zweiten Halbjahres 2020 ausgeweitet werden, da mit einem Wiederanstieg der Anmeldezahlen bei gleichzeitiger Weitergeltung der Corona-Schutzmaßnahmen zu rechnen ist.

Auch in der Corona-Krise ist die Kontrolle der staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen im Hinblick auf ihre potenziell wettbewerbsbeeinträchtigenden Wirkungen im europäischen Binnenmarkt unverzichtbar. Problematisch sind insbesondere Maßnahmen, mit denen selektiv Unternehmen unterstützt werden. Die Monopolkommission ist wie die Europäische Kommission der Auffassung, dass die Bedingungen und Auflagen im Fall von staatlichen Unternehmensbeteiligungen strenger ausfallen müssen als bei reinen Finanzbeihilfen. Insbesondere sollte eine staatliche Beteiligung, soweit sie Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung auf einem oder mehreren Märkten betrifft, mit wettbewerbsfördernden Maßnahmen flankiert werden. Die Monopolkommission empfiehlt darüber hinaus, ein Gremium mit unabhängigen Experten einzusetzen, welches die Bundesregierung bei der Entwicklung von Strategien für den Ausstieg aus krisenbedingten staatlichen Beteiligungen berät.


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