XXIII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 29. Juli 2020


Die deutsche Krankenhausinfrastruktur ist mit der COVID-19-Pandemie verstärkt in das mediale sowie politische Blickfeld gerückt. Die stationäre Versorgungslandschaft in Deutschland gilt dabei mit ihren fast zweitausend Krankenhäusern als vergleichsweise breit aufgestellt, besonders vielfältig und nur gebietsweise konzentriert. Mit ca. 34 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner (2017) weist Deutschland zudem höhere Kapazitäten als zahlreiche andere Industrienationen auf, worin vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie ein wesentlicher Vorteil gesehen wird. An den gegenwärtig bestehenden Krankenhausstrukturen wird jedoch seit Jahren auch Kritik geübt. Zu ihrer Verbesserung wird oftmals die Forderung nach einer schnelleren Konsolidierung des Krankenhaussektors und einer Erleichterung von Krankenhausfusionen erhoben.

Im Rahmen der 10. GWB-Novelle wurde nun die Debatte um die Struktur der Krankenhausversorgung auf die Anpassung der Fusionskontrolle für Krankenhäuser gelenkt. In diesem Zusammenhang plant die Bundesregierung die Vorgaben zur Beurteilung von Krankenhauszusammenschlüssen und -kooperationen anzupassen, wodurch die Struktur der deutschen Krankenhausversorgung in Zukunft beeinflusst werden könnte. Durch die Festlegung gesonderter kartellrechtlicher Vorgaben im Krankenhaussektor sollen gesundheitspolitisch als besonders wünschenswert betrachtete Zusammenschlussvorhaben wettbewerblich privilegiert werden.

Dazu ist festzustellen, dass es in Deutschland im internationalen Vergleich zwar insgesamt hohe Bettenkapazitäten gibt, diese sich aber auf viele kleine Allgemeinkrankenhäuser verteilen. Die Vorhaltung vieler kleiner Krankenhäuser impliziert, dass die Fallzahlen in den einzelnen Häusern in der Regel gering sind. Krankenhäuser mit geringen Fallzahlen verfügen tendenziell über weniger medizinische Routine und eine schlechtere personelle sowie medizinisch-technische Ausstattung. Insgesamt deutet eine Reihe von Indizien darauf hin, dass Krankenhausfusionen (ggfs. auch Krankenhauskooperationen) zumindest in Einzelfällen qualitätssteigernde Effekte haben können.

Die Monopolkommission sieht große Vorteile in einer wirksamen Zusammenschlusskontrolle von Krankenhäusern. Ihre derzeitige Ausgestaltung könnte einer effizienzsteigernden Konsolidierung und ggfs. Spezialisierung deutscher Krankenhäuser jedoch in Einzelfällen entgegen stehen. Eine häufig diskutierte Bereichsausnahme, bestimmte Zusammenschlüsse von der wettbewerblichen Kontrolle durch das Bundeskartellamt auszunehmen, ist nicht erforderlich. Der evident qualitätssichernde Wettbewerbsschutz kann hierdurch sogar gefährdet werden.

Vielmehr sollten verschiedene, auf die Versorgungsqualität wirkende Effekte von Zusammenschlüssen im Krankenhaussektor stärker in den Blick genommen werden. Zum einen ist zu empfehlen, dass das Bundeskartellamt seine grundsätzlich ausgereifte, aber in erster Linie auf vergangenheitsbezogene Patientenstromdaten bezogene Marktabgrenzung im Einzelfall daraufhin prüft, ob infolge eines konkreten Zusammenschlussvorhabens Änderungen der Angebotsverhältnisse am Markt eintreten, die zu einem veränderten Nachfrageverhalten führen können. Zum anderen – und ungleich bedeutender – sollten zusammenschlussbedingte Qualitätsvorteile im Rahmen einer Gesamtabwägung der Zusammenschlusswirkungen besser berücksichtigt werden können. Die Monopolkommission empfiehlt deshalb, die Abwägung zwischen wettbewerblich induzierten Qualitätsveränderungen und aus Synergieeffekten resultierenden Qualitätsvorteilen in Form einer Effizienzabwägungsklausel für Krankenhausfusionen in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufzunehmen.


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