XXII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 3. Juli 2018


Die Leistungen von Arzneimittelgroßhändlern und Apothekern sind hierzulande umfassend reguliert. Zwar setzt die bestehende Regulierung die Mechanismen des Marktes nicht völlig außer Kraft, doch verändert sie den hier stattfindenden Wettbewerb erheblich. Ein wichtiger Bestandteil der Regulierung in diesem Zusammenhang ist die Festlegung der Apothekenabgabepreise solcher Arzneimittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden. Zu den Medikamenten, für die ein einheitlicher Apothekenabgabepreis gilt, zählen vor allem solche, die zugleich nur auf Rezept abgegeben werden (auch als Rx-Arzneimittel bezeichnet). Für sie gibt der Gesetzgeber in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) die Handelsspannen für Großhändler und Apotheken auf Basis einer Kostenkalkulation vor. Die Kalkulation fester Preise auf dieser Grundlage hat Auswirkungen auf die sich am Markt einstellenden Ergebnisse, wie z. B. die räumliche Verteilung der Apotheken und den finanziellen Aufwand der Patienten und des Krankenversicherungssystems.

Festzustellen ist, dass eine Regulierung gerade im pharmazeutischen Sektor aufgrund der enormen gesundheitli-chen Gefahren einer Fehlmedikation grundsätzlich besonders berechtigt sein kann. Allerdings rechtfertigt dies nur eine solche Regulierung der Arzneimittelversorgung, die zielgenau der angemessenen Eindämmung entsprechender Risiken dient, da andernfalls die Gefahr eines ineffizienten bzw. verzerrten Preis- und Leistungsniveaus besteht. Die Frage, ob gerade die Beschränkung des Preiswettbewerbs in der bestehenden Form angemessen ist, ist zuletzt durch verschiedene Entwicklungen erneut in den Fokus der Diskussion gerückt. Dies betrifft zunächst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Herbst 2016, das ausländischen Versandapotheken ermöglicht, deutschen Kunden bei der Bestellung von Rx-Arzneimitteln Rabatte zu gewähren und damit von der deutschen Preisregulierung abzuweichen. Im darauffolgenden Jahr hat zudem der Bundesgerichtshof bestätigt, dass die in der deutschen Preisregulierung festgelegten Großhandelszuschläge vollumfänglich rabattfähig sind. Vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist schließlich auch eine Debatte um das Vergütungssystem in der Arzneimitteldistribution entstanden, die sich auch auf die Frage nach der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Apothekendiensten und die Aufrechterhaltung des Versandhandels für Rx-Arzneimittel erstreckt.

Argumente, die für eine Preisregulierung oder gar ein Versandhandelsverbot sprechen könnten, sind insbesondere die Einflüsse auf die Beratungsqualität und die flächendeckende Versorgung. Die vorliegende Untersuchung kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Fortführung des bestehenden Systems der Arzneimittelpreisverordnung und eine den Preiswettbewerb ausschließende Vorgabe von Preisen auf Basis einer Kostenkalkulation auch vor dem Hintergrund dieser Argumente nicht zu empfehlen sind. Stattdessen sollte das Vergütungssystem strukturell so verändert werden, dass nur der Teil der Apothekenvergütung, der vor allem die isolierte Beratungsleistung betrifft, weiterhin fixiert wird. Dieser Teil ist zudem auch durch die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen und gegebenenfalls auch von dieser zu verhandeln. Der übrige Teil der Finanzierung betrifft Serviceleistungen (bei Apotheken z. B. sehr kurze Distanzen aufgrund des Standorts, die Anzahl des Personals für kurze Wartezeiten, die Apothekenzeitung oder die Geschäftsausstattung). Die Höhe der Vergütung dieser Leistungen durch den Patienten ist Teil des Wettbewerbsprozesses und sollte individuell von den Apotheken festgelegt werden.

Zur Umgestaltung des Vergütungssystems sollte es den Apotheken in einem ersten Schritt gestattet werden, die Zuzahlungen gesetzlich krankenversicherter Patienten für Rx-Arzneimittel durch die Gewährung von Rabatten zu reduzieren. Aufgrund des höheren Wettbewerbsdrucks in Ballungsräumen, in denen viele Apotheken tätig sind, ist zu erwarten, dass daraufhin vor allem in diesen Regionen Rabatte eingeräumt werden. Dadurch würde das Vergütungssystem auch zu einer regionalen Verteilung der Apotheken beitragen, bei der ländliche Regionen gegenüber Ballungszentren stärker begünstigt werden, als dies heute der Fall ist. Sofern die Versorgung mit niedergelassenen Apotheken in ländlichen Regionen darüber hinaus gesichert werden soll, sind dazu spezifische wettbewerbskompatible Maßnahmen zu ergreifen. Auf das im Koalitionsvertrag vorgesehene Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sollte indes verzichtet werden, da der Versandhandel ein wichtiger Baustein der Versorgungsstruktur ist. Es sollte geprüft werden, ob durch den weiteren Abbau von Versorgungsbeschränkungen im Versandhandel (Verbot von Pick-up-Stellen und Arzneimittelautomaten) dieser auch für eine nachhaltige Verbesserung der flächendeckenden Versorgung aktiviert werden kann.


Download des Einzelkapitels aus dem XXII. Hauptgutachten