XXII. Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 3. Juli 2018


In Kapitel III (vormals Kapitel IV) des Hauptgutachtens entwickelt die Monopolkommission auf der Grundlage der deutschen und europäischen kartellrechtlichen Entscheidungspraxis in den Berichtsjahren 2016/2017 Handlungsempfehlungen an Gesetzgeber und Kartellbehörden.

Mit der zunehmenden Bedeutung internetbasierter Geschäftsmodelle hat in der kartellbehördlichen Praxis auch die Frage nach der richtigen Abgrenzung mehrseitiger Plattformmärkte an Relevanz gewonnen. Die Monopolkommission begrüßt die im Rahmen der 9. GWB-Novelle vorgenommenen Klarstellungen, sieht jedoch aktuell keinen Bedarf nach weiteren gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich.

Anlässlich aktueller Fallpraxis untersucht die Monopolkommission neue Entwicklungen bei wettbewerblichen Schadenstheorien und beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit dem Verhältnis von Datenschutz und Missbrauchsaufsicht, dem Innovationswettbewerb, Netzwerkeffekten sowie „schleichenden Übernahmen“. Sie empfiehlt unter anderem eine zurückhaltende Anwendung des Missbrauchsverbots im Hinblick auf den Umgang mit Daten und eine Anpassung der Horizontal-Leitlinien der Europäischen Kommission auf Basis der Erkenntnisse zum Innovationswettbewerb.

Prozessvergleiche, die eine Rücknahme von Rechtsbehelfen in Wettbewerbsfällen zur Folge haben, können den Wettbewerb beschränken. Sie sollten von den Kartellbehörden jedenfalls dann einer genauen Prüfung unterzogen werden, wenn schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen in Rede stehen, hohe Gegenleistungen für die Rücknahme von Rechtsmitteln geleistet werden oder die Vergleichsparteien dem Rechtsmittel hohe Erfolgsaussichten beimessen.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil in der Rechtssache Coty verschiedene Fragen im Zusammenhang mit Vertriebsverträgen geklärt. Die Entscheidung enthält insbesondere Ausführungen zur kartellrechtlichen Relevanz der Pflege eines bestimmten Produkt- bzw. Markenimages sowie zur Bewertung von Drittplattformverboten. Die Monopolkommission begrüßt die Klärung dieser Fragen durch den Europäischen Gerichtshof. Sie spricht sich unter anderem für eine kartellrechtliche Anerkennung des Images auch von Markenprodukten jenseits des Luxussegments aus.

Die Zentralvermarktung der Übertragungsrechte für die UEFA Champions League für die Spielzeiten ab 2018/19 erscheint aus wettbewerblicher Sicht – auch im Vergleich mit der früheren Vermarktung von Fußballwettbewerben – kritisch. Die Monopolkommission empfiehlt dem Bundeskartellamt, die Vermarktung der Champions League in Zukunft kartellbehördlich zu begleiten und insbesondere darauf hinzuwirken, dass die Vermarktungsmodelle ausreichend wettbewerbliche Elemente aufweisen und eine Beteiligung der Verbraucher sichergestellt ist.

In der jüngeren Rechtsprechung wurde der von Kartellanten in Zivilrechtsstreitigkeiten erhobene Einwand der Schadensweitergabe teilweise mit im Einzelfall wenig überzeugenden Argumenten ausgeschlossen. Die Zulassung des sog. „Passing-on“-Einwands in diesen Fällen könnte allerdings zu einer unbilligen Entlastung der Kartellanten führen. Nach der Auffassung der Monopolkommission kann diesem Risiko begegnet werden, indem die private Kartellrechtsdurchsetzung für Verbraucher durch die Einführung einer allgemeinen Gruppenklage gestärkt wird.

Im Hinblick auf die Änderungen des Ministererlaubnisverfahrens anlässlich der 9. GWB-Novelle ist die Einführung einer vergleichsweise kurzen Soll-Frist für die obligatorische Stellungnahme der Monopolkommission problematisch. Darüber hinaus setzt die Einschränkung des Rechtsschutzes Dritter gegen Ministererlaubnisentscheidungen ein falsches Signal. Die Monopolkommission empfiehlt deshalb, die entsprechenden Regelungen im Zuge der nächsten GWB-Reform wieder aus dem Gesetz zu streichen.

Die Notwendigkeit einer allgemeinen behördlichen Durchsetzung des Verbraucherschutzes in Deutschland ist umstritten. Sofern eine Verbraucherschutzbehörde auf Bundesebene geschaffen wird, bestehen Gründe für und gegen eine Übertragung von Durchsetzungsbefugnissen im Verbraucherschutz an das Bundeskartellamt. Wenn eine Aufgabenerweiterung des Bundeskartellamtes erfolgt, sollte innerhalb der Behörde eine organisatorische Trennung zwischen der Anwendung von Verbraucherschutzrecht und Wettbewerbsrecht vorgesehen werden.


Download des Einzelkapitels aus dem XXII. Hauptgutachten