Hauptgutachten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB, 3. Juli 2018


Monopolkommission: Digitaler Wandel erfordert rechtliche Anpassungen bei Preisalgorithmen, Medien und Arzneimittelversorgung

Die Digitalisierung schreitet in vielen Bereichen der Wirtschaft unaufhaltsam voran. Preise werden zunehmend auf Grundlage von Algorithmen gesetzt. Streaming-Dienste und Videoportale wie Netflix und Youtube schieben sich in der Zuschauergunst nach vorne und ersetzen mehr und mehr das klassische Fernsehen. Bei der Arzneimittelversorgung ergänzt der Online-Handel zunehmend die Leistungen der niedergelassenen Apotheken. Den daraus resultierenden Strukturwandel gilt es zum Wohle der Verbraucher zu gestalten, mit fairen Regeln für die hergebrachten und die neuen Anbieter. Die Monopolkommission empfiehlt daher in ihrem Hauptgutachten 2018, die gesetzlichen Rahmenbedingungen an den digitalen Wandel anzupassen. Ihr Gutachten hat sie heute dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, übergeben.

Im Einzelnen schlägt das Expertengremium vor:

  • Märkte mit algorithmenbasierter Preisbildung systematisch auf Wettbewerbsbeeinträchtigungen zu untersuchen. Um dies zu ermöglichen, sollte das Instrument der kartellbehördlichen Sektoruntersuchung verstärkt eingesetzt werden, das es erlaubt, wettbewerbliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen.
  • den regulatorischen Rahmen für audiovisuelle Mediendienste stärker zu vereinheitlichen sowie die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf gesellschaftlich und kulturell relevante Inhalte zu beschränken,
  • das Vergütungssystem in der Arzneimittelversorgung zu reformieren und auf ein Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu verzichten.

Viele Verbraucher kaufen verstärkt im Internet ein. Dort erfolgt die Preissetzung zunehmend über Algorithmen. Preisalgorithmen können die Koordinierung von Preisen automatisieren und damit technisch beschleunigen, z. B. wenn Händler denselben Algorithmus einsetzen oder Algorithmen Preise selbstlernend an andere Preise anpassen. Die Folgen trägt der Verbraucher, etwa in Form überhöhter Preise. Die Monopolkommission empfiehlt, zu koordinierter Preissetzung neigende Märkte systematisch zu beobachten. Das kartellbehördliche Instrument der Sektoruntersuchung ist dazu besonders geeignet, weil die Unternehmen dem Bundeskartellamt Auskünfte geben müssen. Verbraucherschutzverbänden, bei denen Informationen zu möglicherweise koordinierten Preisen am ehesten anfallen, könnte das Recht eingeräumt werden, die Durchführung kartellbehördlicher Sektoruntersuchungen zu initiieren.

Im Bereich der audiovisuellen Medien boomt die Verbreitung von Inhalten über das Internet. Das hat zu einer Zunahme der medialen Angebote geführt, wodurch die Meinungsvielfalt gestärkt wird. Das klassische Fernsehen dominiert zwar weiterhin die Bewegtbildnutzung. Insbesondere in der jüngeren Bevölkerung ist die durchschnittliche Nutzung von Online-Videos pro Tag von 30 Minuten im Jahr 2016 auf 59 Minuten im Jahr 2017 aber deutlich gestiegen. Dies spiegelt sich auch in den stark gestiegenen Umsätzen im Videostreaming-Bereich. In Anbetracht des sich zunehmend verändernden Nutzungsverhaltens insbesondere der jüngeren Generation sowie der zunehmenden Medienkonvergenz sollte der regulatorische Rahmen für klassisches Fernsehen und audiovisuelle Online-Angebote, z. B. Netflix und YouTube, stärker vereinheitlicht werden. Für audiovisuelle Mediendienste sollten grundsätzlich einheitliche Regelungen zum Jugend- und Verbraucherschutz sowie zur Werberegulierung gelten. Im klassischen Fernsehen sollten insoweit insbesondere die Werbezeitbeschränkungen aufgehoben werden. Die auf europäischer Ebene vorgesehene Liberalisierung bzw. Flexibilisierung greift zu kurz. In Anbetracht der zahlreichen privatwirtschaftlichen Online-Angebote sollten sich die beitragsfinanzierten Rundfunkanstalten auf sogenannte „Public-Value“-Inhalte fokussieren. „Die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten vor allem Inhalte von besonderer gesellschaftlicher und kultureller Relevanz umfassen, die von privaten Anbietern nicht in einem ausreichendem Maße angeboten werden“, so der Vorsitzende der Monopolkommission Achim Wambach. Die hierzu kürzlich erzielte Einigung der Ministerpräsidenten zur Überarbeitung des sogenannten Telemedienauftrags ist daher nicht durchweg positiv zu beurteilen. Gut ist, dass sich die Rundfunkanstalten weiter auf Bewegtbildinhalte konzentrieren und auch künftig keine presseähnlichen Online-Inhalte anbieten dürfen. Dagegen könnte die vorgesehene Ausweitung des audiovisuellen Online-Angebots, etwa durch die Bereitstellung europäischer Filme und Serien, zu einer Verdrängung privater Wettbewerber führen.

Bei der Arzneimittelversorgung empfiehlt die Monopolkommission die schrittweise Anpassung des Vergütungssystems. Bei Apotheken sollte der Preis für Leistungen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln künftig aus einer festen, zwischen Apothekern und Krankenkassen zu verhandelnden Vergütung für Beratungsleistungen, sowie einem von der Apotheke im Wettbewerb festzulegenden Entgelt für Serviceleistungen bestimmt werden. Das Serviceentgelt würde anstelle der bisherigen Zuzahlung der Patienten abhängig von Leistungen wie z. B. eine besonders günstige Lage, kurze Wartezeiten oder Beigaben wie die Apothekenzeitung individuell von den Apotheken erhoben und wäre der Höhe nach begrenzt. Im Rahmen dieser Umgestaltung sollte es den Apotheken in einem ersten Schritt gestattet werden, die Zuzahlungen gesetzlich krankenversicherter Patienten für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch die Gewährung von Rabatten zu reduzieren. Dies wird vor allem in Ballungsräumen, in denen viele Apotheken im Wettbewerb tätig sind, zu Vergünstigungen für die Verbraucher führen, während strukturelle Verbesserungen im Vergütungssystem zugleich einen Beitrag zur Versorgung ländlicher Regionen leisten. Der seit dem Jahr 2004 in Deutschland zulässige Versandhandel ergänzt die Versorgung in geeigneter Weise. Das diskutierte Verbot des Versandhandels für verschreibungspflichtige Arzneimittel wäre für die Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum weder hilfreich noch erforderlich und stände der Ausnutzung der Vorteile der Digitalisierung des Gesundheitswesens entgegen.

Die Monopolkommission stellt außerdem im Rahmen ihrer Konzentrationsberichterstattung fest, dass der in den USA zu beobachtende Anstieg in der Unternehmenskonzentration sowie bei den Preisaufschlägen, der von Kommentatoren auch auf die technologischen Entwicklungen zurückgeführt wird, in Deutschland nicht bzw. nicht in diesem Ausmaß gegeben ist.


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